Schon
von Beginn der Schulung an träumte mir von einem Flug durch Deutschland bis an
die Nordsee. Aber: erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Als ich
1988 meinen Schein in den Händen hielt, ging es erst richtig los. Wenn mehr als
zwei Deutsche zusammenkommen, gründen sie erst einmal einen Verein. Der
UL-Verein Dörzbach entstand. Platzsuche, Zulassung, verbale Kämpfe mit bzw.
gegen Ämter, Anwohner, Gegner. Wer kann da nicht ein Lied von singen? Doch nun
wollten die Mitglieder auch noch fliegen. Also Assilaufbahn, Fluglehrer und
Ausbildungsleiter waren angesagt, bis mir die Platzrundenschrubberei zu den
Ohren raushing. Kurze Ausflüge in die nähere Umgebung waren mit unserem
offenem Fox (80 km/h) gerade noch drin. Sollte das alles sein? Wo war mein
Traum? Der kam Ende 1990, als Avid Flyer auf mich „zuschwebte". 130km/h
Reise, geschlossen, 582er Rotax mit 64 PS. Das war's! Ein Partner war schnell
gefunden. Zwei ehemalige Flugschüler, Johann Beck und sein Bruder Berthold,
hatten sich auch in diese Superorchidee verknallt.
Also los! Gekauft, gebaut und
Erstflug April '91. Die Nordsee rückte näher. Der Mensch denkt, doch das BMV
lenkt. Nach
Schwierigkeiten mit Motor und Zulassung rückte die Nordsee wieder
in weite Ferne. Doch für Kocher und Jagst reichte es
allemal. Bis Anfang '94
brachten wir unseren „Hühnerhabicht" nur 130 Stunden in die Luft.
„Aus, Schluss; wird verkauft, Glump" beherrschte das Vokabular meines
Johanns. Nach
Installation eines Verstellpropps war uns jetzt die
Verkehrszulassung sicher.
Der Jahrhundertjuli '94 beflügelte
meine Gedanken. Johann und ich hatten Urlaub. Sollten wir es wagen? Mein Traum
lag wieder zum Greifen nahe. Jetzt oder nie! Die ICAO-Karten von inzwischen
Gesamtdeutschland hatte ich mir eigentlich schon letztes Jahr gekauft. Ein
kurzes Gespräch und die Sache lief. Die Karten paarweise zusammengeklebt, die
AIP nach UL-zugelassenen Plätzen abklopfen und eintragen derselbigen, sämtliche
ED und ETR's sowie CTR's auf den neuesten Stand bringen. Jetzt ans Telefon. PPR-
und auch andere Plätze waren vorgewarnt und hatten Zeit, ihr bewegliches
Inventar in Sicherheit zu bringen. Der 5. August rückte näher. Nun waren die
Frauen dran. Sie packten unsere Rucksäcke mit Klamotten, die für eine
Polarexpedition gereicht hätten. So würden wir mit unserem Vogel höchstens
fahren, jedoch nicht abheben können. Also wurde unsererseits streng zensiert.
Wir waren ja keine Dressmen sondern UL-Piloten. Jedoch flogen am Schluss dann
doch vier Unterhosen und vier Paar Socken pro Nase mit gen Norden.
Doch nun die Route mit Ausweichplätzen in das GPS (man gönnt sich ja sonst nichts) gedrückt, Zweitakt-Öl und Werkzeug hinter den Sitz gebunden, Schlafsäcke und Sandalen in den Rumpf gespannt, Tank randvoll gefüllt. Die Nacht zum 5.8. war kurz. Meine Gedanken badeten schon im Meer, da riss mich der Wecker jäh aus meinen Träumen. Der Tag des Herrn! Freitag früh 5.30 Uhr. Raus!
Kaffee; Gafor Stuttgart, Gafor
Bremen belogen mich diesmal nicht. Oskar, Oskar, Charly waren mir die liebsten
Herren zu dieser unchristlichen Tageszeit. Jetzt nach Dörzbach auf den Platz,
wo Johann schon den Avid warmlaufen ließ. Schnell ein Küsschen für die
traurigen Frauen und Berthold gab uns die 33 zum Start frei. Nach 150 Meter
holpriger Grasbahn erhob sich unser Packesel in den frühen Morgenstunden des 5.
August 1994 in den frischen Morgenhimmel. Jubel!
Die Flughöhe von 600 m GND war
schnell erreicht und wir strebten, immer noch mit einem Auge am Boden klebend
(Außenlandemöglichkeit), hellwach Richtung Norden. Die erwachende Landschaft
des Taubertals zog unter unseren Flügeln durch. Die Luft war wie Seide und ein
leichter Rückenwind trieb uns mit 130 km/h über GND dem Spessart zu. Johann
brauchte den Knüppel nicht zu bewegen. Es lief verdächtig gut. Der Rotax
schnurrte wie ein Kätzchen mit 5500 U/min. Es war Zeit für eine Zigarette. Die
mächtigen Wälder des Spessart tauchten vor uns auf und nötigten uns eine um
400 m höhere Flugbahn auf. Ein Auge auf dem GPS, ein Auge auf der Karte, ein
Auge auf den Wäldern, ein Auge im Luftraum voraus und alle Ohren auf das
Motorengeräusch gerichtet, meisterten wir auch dieses Problem mit Bravour. Uff,
der Wald wurde lichter und die Autobahn Frankfurt-Erfurt forderte mich auf,
Mosenberg Info zu rufen. Ein Blick auf unseren Flächentank machte mir deutlich,
dass sich unser Rotax nicht zu wenig bediente. Die Geschwindigkeit und das
Gewicht machten sich bemerkbar. Johann meinte, dass der Querschnitt unserer
Spritleitung zu groß wäre und murmelte noch etwas von einem Loch im Tank.
Aber: Mosenberg schläft noch.
Auch Brilon erbarmte sich, unsere Nöte
nicht. Wir waren zu früh dran. Selbst in Korbach wiegte man sich noch in
Morpheus Armen. Es war wie ein Licht im Dunkeln als unserem Flehen der
Flugleiter in Allendorf nachgab und uns mit dem nötigen Elixier in Form von 100
LL versorgte. Unser Dank wird ihm ewig nachschleichen. Nun hatte auch das
Rothaargebirge mit seinen Wäldern seine Schrecken für uns verloren und wir
schwebten euphorisch, den Adlern gleich, bei bestem Wetter Damme zu. Nachdem wir
Gütersloh in 1200 Meter (sicher ist sicher) umflogen hatten, bereitete auch der
Teutoburger Wald uns Weltreisenden keine Kopfzerbrechen mehr. Petrus hatte
aufgehört zu schieben und so fiel unser Schnitt auf 105 km/h zurück.
Nach den Torffeldern musste Damme
zu finden sein. Wieder keine Antwort. Es ist zwischenzeitlich 10 Uhr LT.
Schlafen die hier alle so
lange? Durch den Funkverkehr mit Blechkameraden brachten wir die 29 als Ziel
unserer Wünsche heraus. Südplatzrunde, Augen auf und runter. Tanken war
angesagt. Unser Rotax entwickelte einen beachtlichen Durst. 22 Liter/h flossen
durch seine Vergaser. Das Funkproblem löste sich schnell. Man war hier nur
keine ordentliche Meldung von einem UL gewöhnt. Ein belegtes Brot reingewürgt,
den menschlichen Bedürfnissen nachgegeben und wieder aufgesessen. Das Land war
hier schon platt wie wir, als aus dem Dunst der Dollart auftauchte. In Emden
spendeten wir unserem durstigen Vogel einmal mehr einen kräftigen Schluck 100
LL und sahen, ob dieser Ausgaben, unsere Urlaubskasse schwinden. Das Ziel war
erreicht!
Dörzbach - Nordsee in vier Stunden
Flugzeit.
Es war 12 Uhr LT. Was tun mit dem
angebrochenen Vormittag? Unser Sitzfleisch erlaubte uns noch einen Flug. Also
los. Neuen Film in die Kamera und ab zu den Inseln Baltrum, Langeoog, Norderney.
Das große Wasser empfing uns Hohenloher Franken mit ordentlichen Sichten. In
Sicherheitsmindesthöhe (600 m) fegten wir die Küstenlinie entlang, immer in
respektablem Abstand zu dem uns ungewohnten Wasser. Kurz vor Harle bogen wir südwärts
und stiegen auf 900 m, um uns Jever einmal genau anzusehen. Mächtig lange Bahn.
Da Petrus Jetzt wieder schob, wollten wir Kührstedt für unsere Nachtruhe noch
heute erreichen. Vor uns lag der blanke Jadebusen und glänzte prall. Foto raus,
Türe auf, klick. Nachdem wir an der Ente auf der Karte vorbeigeflogen waren,
schimmerte uns die Weser entgegen. Höhe halten, bis wir drüber sind. Man will
ja nicht absaufen. Kührstedt meldet sich nicht. Mist! Nordholz dagegen grüßt
uns zu dieser vorgerückten Stunde mit einem freundlichen „Moin Moin".
Johann lacht wegen der Uhrzeit. Bei uns heißt das „Nobed" (guten Abend). Also linken
Flügel über die volle Autobahn und mit 900 m Richtung Nordholz. Über dem
zivilen Teil Höhe abbauen und unsere Möwe setzt sich sanft auf den ausgedorrten
Rasen. Für heute ist Schluss, denn unser Hinterteil verlangt nach einer weichen
Matratze. Nachdem eine Hiobsbotschaft von Hagel, Gewitter und Sturm uns dazu
bringt, unseren Avid mit angeklappten Flächen in der Halle abzustellen, fuhren
wir mit dem Taxi in ein Gasthaus. Nach dem obligatorischen Anruf Zuhause und dem
Abendessen schliefen wir zufrieden ein. Das Unwetter hatte sich als eine
Falschmeldung entpuppt, jedoch meldete Gafor am Samstag eine Kaltfront. Deshalb
starteten wir am Morgen direkt Richtung Ostsee. Mit einem freundlichen “den
man los und fliecht oordentlich“ wurden wir verabschiedet. Petrus hatte wieder
ein Einsehen und schob mächtig. Mit 140 km/h fetzten wir Richtung Rerik.
Die Elbe bei Glückstadt forderte
von uns nochmals eine respektable Höhe. Hartenholm zog unter uns durch. In Bad
Segeberg öffnete ich nochmals die Türe für ein Bild des Karl-May-Felsens. Lübeck
rechts von uns im Dunst lassend, mogelten wir uns über die Bucht bei Travemünde.
Jetzt war die Ostseewasserkante dran. Die Wismarbucht umrundeten wir
sicherheitshalber auch, denn wir wollten nicht unbedingt nach Rerik schwimmen.
Eisenbahn und Straße begleiteten uns bis kurz vor der Bahn. Schon im Anflug
lockte uns die Nähe des Wassers. Zum ersten Mal hatten wir neues Bundesland
unter unseren Tundraweels, was unser Flieger auch mit einem freudigen Hüpfen
quittierte. Nach einer Bockwurst schwangen wir uns auf die dort zu zivilen
Preisen auszuleihenden Fahrräder und strampelten die vier Kilometer nach Rerik.
Toll, Wassertreten in der Ostsee und das mit dem eigenen UL erflogen. Nach
schönen
Abendstunden mit den dortigen sehr netten Fliegern legten wir uns mit Matratzen
unter die Flächen unseres Vogels, um ihn bei dem Wind am Fortfliegen zu
hindern.
Es tröpfelte nachts. Nach dem Frühstück
verhieß uns ein Anruf bei Gafor nichts Gutes. Im Süden war Delta angesagt.
Sonntag acht Uhr LT hob unser Avid ab und wir gelangten in Rekordzeit nach
Gardelegen. Die Mecklenburgische Seenplatte unterwegs schob sich bei 140 km/h zügig
vorbei. Es pressierte uns mächtig. In Gardelegen schnell aufgetankt und
nochmals Wetter eingeholt. Es zog sich anscheinend im Süden zu. Also rasch so
weit wie möglich bei jetzt noch schönem Wetter nach Süden. Nach dem
Weser-Elbe-Kanal, der noch ein Foto wert war, fing es an zu “boggeln".
Unser Habicht verlangte nach einer harten Hand. Johann äußerte seinen Unmut über
die Schaukelei in nicht druckreifen Worten. Sömmerda war das nächste Ziel. Über
dem Harz war die Sicht noch gut. Ein paar kleine Wölkchen, nichts
Beunruhigendes. Vor lauter Aufregung verwechselten wir beim Anflug auf Sömmerda
noch die Landerichtung. Es war wieder schnell getankt und gegessen. Noch schnell
vor einer Pitts an den Start gerollt und ab ging's.
Die riesigen Kornfelder, auf denen
sich fünf Mähdrescher vom Typ Fortschritt durch das Getreide fraßen, wichen
nun immer mehr Wald. Der Thüringer Wald empfing uns mit leichtem Regen. Die
Sicht war immer noch erstaunlich gut. Der Wind kam jetzt schräg von rechts und
wir schaukelten Richtung Kulmbach. Von Gewitter keine Spur. Hatte uns der Gafor
angelogen? Da, vor uns, zog sich eine lange Schneise durch den Wald. Das war
sie, die ehemalige Demarkationslinie, die jetzt, Kohl sei Dank, der
Vergangenheit angehört. In Kulmbach erhielt unser braver Rotax wieder sein
Fressen. Diesmal aber bloß Autobenzin. Unser Boxenstopp verlief wieder in
gewohnter Schnelligkeit. Ein kurzer Check und wir waren wieder in der Luft.
Diesmal Richtung Heimat. Die UL-Plätze Burgebrach und Ippesheim zogen unter uns
durch. Erster Funkversuch mit Dörzbach-Start. Keine Verbindung. Bei diesem
zweifelhaften Wetter war bestimmt keiner am Platz. Stattdessen meldete sich
unser “Katana Willi“ Küstner. Er war auch auf dem Nachhauseflug von Rügen,
wo er mit seiner Frau übers Wochenende zum Baden war. Schade, dass wir uns
nicht getroffen haben. Wie vermutet, war in Dörzbach niemand am Platz. Nach
einer kurzen Runde meldete sich Berthold, der uns runterließ und den Hänger
zum Transport in den heimatlichen Stall mitbrachte. Nach einer Dusche saßen wir
dann um 16 Uhr am Sonntagskaffeetisch.
Was für ein Wochenende Bo Ey!
1500
km in 12 Stunden, drei volle Filme, eine Menge Eindrücke gesammelt, lauter
nette Leute kennen gelernt und volles Vertrauen in unseren braven Avid zurückgewonnen.
Wenn es uns gelingt, ihn doch noch zu verkaufen, dann wollen wir über den
Winter wieder etwas bauen. Aber diesmal etwas Schnelleres, denn Mittelmeer und
Atlantik warten und die Wochenenden sind kurz. Es war wunderbar und wir werden
es bestimmt bald wiederholen, wenn wir Startfreigabe von unseren Frauen
erhalten. Nochmals vielen Danken alle Flugleiter, die uns immer freundlich und
zuvorkommend behandelt haben.